Pressetext
Mit dieser ersten einer Reihe geplanter Ausstellungen stellt die Galerie Michael Werner nicht den Künstler, sondern den Sammler in das Zentrum. Mit Exponaten der Sammlung Speck wird ein Überblick zu jenem Teil des Œuvres Marcel Broodthaers‘ gegeben, der im Zusammenhang mit seiner lebenslangen Beschäftigung mit dem französischen Schriftsteller Stéphane Mallarmé entstanden ist.
Erstmals hatte der Künstler seine Affinität zu diesem Dichter 1969 in einer monographischen Präsentation in der Galerie Wide White Space in Antwerpen offenbart: Die Ausstellung fokussierte u.a. eines der berühmtesten Gedichte Mallarmés: Un coup de dés jamais n'abolira le hasard (in einer der zahlreichen deutschen Übersetzungsversuche: Ein Würfelwurf wird niemals den Zufall zu Fall bringen).
Etwa in dieser Zeit beginnt für den Künstler eine Annäherung an den Schöpfer dieses 1914 posthum erschienenen poème. Diese manifestiert sich in Broodthaers‘ mittlerweile berühmtesten Version des Gedichts, die er image nannte. Darin wurden die Textzeilen des wie ein Bild angeordneten Satzspiegels durch schwarze Balken ausgelöscht und der Band, dem Vorbild und französischer Buchtradition folgend, in drei Varianten herausgegeben.
Broodthaers Auseinandersetzung mit einem der herausragendsten Werke Mallarmés, die inhaltlich und formal Brücken zwischen Kunst und Literatur geschlagen hat, bildet den Beginn einer epochalen Einflussnahme auf viele andere Künstler, das Werk kritisch oder affirmativ zu hinterfragen und auch fortzuschreiben. Die Ausgabe des Gedichts der nrf von 1914, bis heute auch durch ihr Erscheinungsbild mit jeder Lesart von Un coup de dés jamais n'abolira le hasard eng verbunden, wurde zum Archetyp dieser späteren Paraphrasen und Appropriationen. Je nach ikonographischem Reservoir entstanden angesichts des ursprünglichen Titels Poème deutungsträchtige Benennungen wie image, sculpture, omage, delay, livre etc.
In der Ausstellung sind zahlreiche Beispiele der erwähnten künstlerischen Annäherung zu sehen, die Nr. 1 von 10 Exemplaren der französischen Originalausgabe von Un coup de dés jamais n'abolira le hasard, Marcel Broodthaers Paraphrasen, die vielen später entstandenen Appropriationen einer folgenden Künstler- und Dichtergeneration und als Schlussstein ein langer Brief Marcel Prousts, in dem er seine Abkehr vom lange Zeit verehrten Mallarmé erläutert: contre l’obscurité. Die Spannbreite der Transformation von Sprache hin zum abstrakten Bild, die das gesamte Œuvre Marcel Broodthaers prägt, wird durch eine Vielzahl begleitender Werke des Künstlers veranschaulicht. Mit dieser Ausstellung wird die Rezeptionsgeschichte des geheimnisvollen Gedichts fortgeschrieben, das vor mehr als einem Jahrhundert das Wort zum Bild hat werden lassen.
